Eintauchen in die Wildniszone: der UKK

Der Urho-Kekkonen-Nationalpark, Urho-Kekkosen-Kansalliupisto UKK, bot uns den Rahmen für eine Mehrtagestour durch die ruska, die lappländische Herbstfärbung. Ein riesiger, wegloser NP mit einer Vielzahl von offenen Hütten, Feuerstellen und Lagerplätzen in Tagestour-Entfernung, aber außerhalb der sog. „Tourismuszone“ um Saariselkä und Kiilopää herum ohne markierte Wege. Die muss man hier in der „Wildniszone“ schon selbst finden: mit Karte und Kompass (wir) oder GPS (andere) – oder indem man den ausgetretenden Pfaden folgt. Will man den ganzen Park einmal durchqueren, braucht man wohl eine Woche. Wir trafen Tommi, der in 2 Wochen fast keine der Hütten (um die herum meist gezeltet wird) zweimal angewandert hat. Wir wollen uns 2 bis 4 Tage gönnen – je nach Lust, Laune, Fitness und vor allem Wetter. Spoiler: es wurden 4 Tage. Unsere Lebensmittel hätten für einen 5. Tag gereicht, unsere Lust auf einen kalten (so angesagten) Regentag aber nicht.

Wir starten – wie seeehhr viele andere – in Kiilopää. An einem Samstag, Reisebusse, Gruppen, Haufen mit riesigen Rucksäcken vor dem hotelli, ein überfüllter Parkplatz: wir parken am Gratis-Straßenrand, reden uns Südtirol ein (wir lieben Südtirol!), wiegen unsere Rucksäcke (Ups!) und ziehen los. Und lassen den Trubel tatsächlich hinter uns: fast leere Wege (hier noch zweispurige 4-hjuling(Quad)-Spuren, die sog. mainroad) im gemäßigten Bergauf. Zunächst wollen wir rausfinden, welche Etappenlänge bei dem Gelände zu uns passt. Nach ein paar Kilometern verwerfen wir unser bescheidenes erstes Ziel Rautulampi (11km) zugunsten von Suomunruoktu, ca. 14 km. Es läuft einfach zu gut und zu schick. Auf halbem Weg tauchen ein paar andere Wanderer wieder auf: am laavu (Shelter) von Suomunlatva ist ein Kaffeefeuer in Gang und man versammelt sich finnisch-gesellig, fragt nach dem Woher-wohin-woüberdenfluss, legt Holz nach – und geht seiner Wege. Wir queren den Fluss erst kurz vor dem Ziel: am späten Nachmittag erreichen wir Suomunruoktu(1).

Der Lagerplatz von Suomunruoktu ist in vielerlei Hinsicht typisch für die finnische Hüttenkultur. Zum einen die Anlage: eine zweigeteilte Hütte mit einem offenen Teil (autiotupa) und einem Reservierungsteil (varaustupa) mit Platz für je 8 Übernachtende (bei Schietwetter passen auch 12 rein). Rundherum ist Platz für zwei Feuerstellen, neben dem Holzschuppen ein neues Doppelplumpsklo, einige Fleckchen für Zelte. Suomunruoktu ist für die meisten die erste Übernachtung auf ihrer Tour, der Abend ist mild (6 Grad?) und trocken, die Zelte zahlreich: auch wir suchen uns zielstrebig einen zelttauglichen Platz (hier gilt doch das Handtuchprinzip). Es schläft heute niemand in der Hütte. Wir bereuen es mitten in der Nacht, als sich der Himmel sternklar zeigt und wir mit Jacke und Mütze nachrüsten (Fazit: långkalsonger griffbereit haben!). Aber vorher ist lauschiger Feierabend am Feuer. Axel kocht (so richtig!) Nudeln mit Pfifferlingen, die uns ein Mitwanderer aus seinem reichlichen Fund gespendet hat, andere essen Trekkingfood aus der Tüte oder grillen sich einfach ne makkara zur Senftube. (Überhaupt: die grillimakkara ist auch zur Mittagspause sehr verbreitet und für Tagestouren offenbar ein Muss.)

Am Morgen versammeln wir uns wieder mit Kaffeekessel und Müslischale ums Lagerfeuer. Viele haben heute den Plan, an der Tuiskukuruhütte (14km) vorbeizulaufen bis ins nächste Tal, denn die Luirojärvi-Hütte(+7km) dort hat eine Sauna und eignet sich hervorragend als Ausgangspunkt für eine Tagestour mit leichtem Gepäck auf den höchsten Berg des UKK, den Sokosti (gute 700m). Schöner Plan, wir gucken mal, wie wir uns im Tuiskukuru (das Tal des Tuiskujoki) fühlen (und wann). Als wir um 10 alles abgebaut und eingepackt haben, sind die meisten schon losgezogen, aber wir müssen ja nix – außer die Sonne genießen. Nach einer Nacht mit Bodenfrost zeigt sie, was sie Mitte September noch so drauf hat. Nach 2km wollen wir an der Furt / Feuerstelle Aittalampi eigentlich ganz bescheiden den vermeintlich leichteren Weg durchs Tal nehmen, folgen der mainroad aber zu lange und gehen doch „obenrum“. Zum Glück: sonniger, lichter fjällbjörkskog mit Aussicht, mehr Pfifferlingen als wir werden essen können und am höchsten Punkt – gerade als wir den Unterschied zur Lüneburger Heide meinen erkannt zu haben: die fehlenden Sitzbänke – eine gestandene Sitzbank für unsere Mittagspause. Dazu gesellt sich makkara-Griller „Svenni“ (er heißt sicher anders, erinnert uns aber an jemanden), der hier – wir haben Netz! – erstmal die Nachrichten checkt, ob die Russen schon da sind. Wir screenshoten uns den Wetterbericht: Luxusproblem. Ein weiterer Pausenbank-Geselle wandert mit einem riesigen orangen Gummiball (>1m Durchmesser), den er vor sich herrollt. Er nimmt unsere verwunderten Fragen schon vorweg: Nein, das ist kein Wetterballon, er sammelt auch keinen Müll. Der Sinn des Balls ist nur, sinnlos zu sein und als Fotovordergrund zu dienen. Seit 4 Jahren sei er mit Ball unterwegs und hat seitdem immer nette Gespräche (und vermutlich tolle Fotos). Jetzt kommt er gerade vom Fotoshooting aus dem Paratiisikuru (dem Paradiestal) zwei Tageswanderungen von hier (also mind. drei von der nächsten Straße). Kann man machen. Es gibt sinnlosere Dinge, mit denen man sich abmüht.

Es ist später Nachmittag, als wir ins Tuiskukuru absteigen. Svenni ist schon da, Tommi kommt kurz nach uns. Alle anderen sind nach dem Abendessen nach Luirojärvi weitergelaufen. Wir schenken uns die 7km und das Fjällsaunaerlebnis und bleiben. Mit Chance auf einen Hüttenschlafplatz bei angesagtem Niesel. Das Paar, das als letztes kommt, gibt in der Hütte Entwarnung: sie ziehen das Zelt vor.

Der nächste Morgen ist unerwartet trocken. Nach dem Aufklaren der Hütte müssen wir den Einstieg in unseren Pfad (zum Luirojärvi ist es ausgetretener) etwas suchen. Unsere Sorge, den halben Weg schattig im tiefen Tal zu wandern, erweist sich als unbegründet: auf halber Höhe über dem Tuiskujoki durch sonnig-lieblich-lichten Fjällwald zum laavu Kotaköngäs. Hier wettern wir den zweiten Schauer des Tages ab, der sich ansonsten mit viel blauem Himmel Mühe gibt, uns zu gefallen – mit Erfolg. Wir queren den hier etwas reißenden Fluss über eine Brücke und steigen das Tal, in der der Tuiskujoki „entspringt“ bzw. sein Wasser aus den umliegenden Hängen anfängt zu sammeln, auf. Kurz vor dem Sattel treibt uns der dritte Schauer des Tages an und verkürzt unsere Kaffeepause. Das letzte Ende nach Rautulampi riechen wir Rauch, hören Stimmen, nachdem wir (außer Svenni und noch einem am laavu) niemandem begegnet sind: hier sind Menschen!

Der Rautulampi ist ein lauschiger Bergsee an der Baumgrenze, an dessen Ostecke die übliche Hüttenumgebung angesammelt ist. Die Hütten, hier auch eine päivätupa (Tageshütte), sind im letzten Jahr nach einem Brand komplett neu gebaut worden. Modernes Design, zweckmäßige Ausstattung inkl. Trockenraum mit Holzofen und Seeblick vom Schlafboden! Die autiotupa ist voll mit halbjungen Großstadt-Hipstern, die uns abgerissenen Halbalten gerne ein Plätzchen und Pläuschchen gewähren. Nach der 17-km-Tour heute müssen wir nicht mehr viel – außer Aussicht genießen, kochen und lesen. Der Vollmond brezelt nachts durchs Fenster, Polarlichter sehe ich keine – sonst hätten wir womöglich noch raus gemusst in den Nachtfrost.

Am nächsten Morgen sortieren sich alle um Morgenkaffee und Müsli, um den Rückweg in die Zivilisation anzutreten. Wir sind die letzten in der Hütte und machen den Besenwagen hinter den jungen Leuten. Die zahlreichen Schneehühner („They taste very good!“ so einer der Hipster: kein Veganer) um das Lager scheinen der Zivilisation etwas (zu essen) abzugewinnen und machen das herbstliche Fjällbild perfekt. Wir steigen rechts des Sees auf mit Ziel Luulampi: dort soll es eine Einkehr geben. Svenni hat uns so oft von kahvi und munkki dort vorgeschwärmt: das wollen wir auch! Der uns vorgestern noch versprochene sonnig-warme (8 Grad) Tag, den wir gemächlich mit 11km Weg verbummeln wollten, erweist sich als grau-nieselig: der Morgennebel flockt etwas aus. Hätten wir den Weg über den Höhenrücken gewählt, würden wir in den Wolken gehen. Der Anstieg durch das Tal östlich des Berges Kiilopää und über den Sattel ist schon OK. An der Tageshütte am Luulampi wechselt lustiger- und logsicherweise schlagartig das Publikum: vier Tage nur Begegnungen mit jüngeren Fjällräven-Halti-Bergans-Hikern mit riesigen Rucksäcken wird Luulampi bevölkert von (halb-)älteren Lycra-Fat-Bikern (werden wir nie werden) und frisch geduschten Turnschuh-Tageswanderern (könnten auch wir sein). Wir lassen gute 20€ in der Hütte u.a. für hervorragende munkkit, fühlen uns wieder Südtirol (wir lieben Südtirol immer noch!) und gehen gestärkt an die letzten 5 km nach Kiilopää – leider über eine von Fat-Bikes völlig zerschredderte mainroad über einen Sattel mit vom ausflockenden Nachmittagsnebel verhangenen Aussichten. Kurz vor Kiilopää checken wir die Chance, im Wanderhotel die Sauna zu buchen (15€ pro Nase für 2h sind OK), verwerfen diesen Plan aber sehr fix, als wir dort ankommen. Zu wenig Lust haben wir auf den Massenbetrieb, der zugegeben noch weitere Annehmlichkeiten bereithielte: ein Restaurant mit Pizza und Rentierburger, ein Minishop mit Hiker-Bedarf und Souvenirs, Info-Stand, Busshuttle, … Alles gut, nützlich und großartig – diesmal aber ohne uns.

Wir entern unseren Bulli, wechseln die Klamotten, schenken uns den heute gesparten Kaffeepausenkaffee ein und suchen uns einen bescheidenen Campingplatz am Inari – mit Sauna natürlich!

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